Arguing with Dams: Developmental Perspectives and Social Critique in 20th Century India
Während die Anfänge des Staudammbaus mehrere tausend Jahre zurückreichen, ist das Projekt des hydrotechnischen Großstaudammbaus ein Phänomen der Neuzeit, expandierend mit der Hochphase der Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Ab Mitte des 20. Jahrhunderts lässt sich von einer regelrechten "Ära der Großstaudämme" sprechen, die ihren Anfang in den USA genommen hat, sich kurze Zeit später in der damaligen Sowjetunion durchgesetzt hat, bevor es zur Expansion dieser auf Wasser- und Energiegewinnung angelegten Projekte "nach Süden" kam. Großstaudämme, insbesondere die zum Teil mehrere 100 Meter hohen Multifunktions-Mega-Dämme sind, wie kaum ein anderes technisches Großprojekt, zum Symbol eines politisch umkämpften Modernisierungsparadigma geworden, das für fortschrittsorientierte Entwicklung im Rahmen nationalstaatlicher Ressourcenerschließung steht. Mit Fokus auf Indien analysiert diese Arbeit Staudämme als Ausdruck eines technokratischen Modernisierungsimperativs, der bereits im kolonialen Projekt der britischen Herrschaft angelegt war und im Rahmen der Entwicklung und ideologischen Unterfütterung des indischen nation-building implementiert wurde. Welche Verknüpfungen zwischen dieser Implementierung und der Spezifik einer kontrovers diskutierten "indischen Moderne" bestehen, ist dabei mit Blick auf Widerstand und (post)koloniale Entwicklungsdebatten ein entscheidender Aspekt der Betrachtungen.
Anhand der Analyse des nordindischen Tehri-Damm-Projekts und der Einbettung dieses Projekts in die Geschichte des Staudammbaus in Indien, die Rechtfertigungsstrukturen der Befürworter und die Diskussion der Widerstandsbewegung ist es das zentrale Anliegen dieser Arbeit, den Blick auf das spezifische Verständnis moderner Entwicklung zu richten, auf dem diese Staudammprojekte basieren. Wenngleich die Paradigmen "der" Moderne nach wie vor die (staatlichen) Entscheidungsfindungsprozesse in Entwicklungsfragen prägen, so kann mit Blick auf die Vielschichtigkeit und politische Kontroverse der Diskurse im Feld des Staudammbaus doch nicht von einer einseitigen Adaption der Logik dieser Modelle ausgegangen werden. Eine entscheidende Frage hierbei betrifft die (diskursive) Legitimation von Entwicklungsideologien und die Möglichkeiten von Gesellschaftskritik jenseits historisch gewachsener Normative.
Hanna Werner hat an der Freien Universität Berlin und der Université Paris VIII studiert sowie an der Universität Heidelberg und der University of Chicago gelehrt. Sie hat zu Indien und Ostafrika (Tanzania) geforscht und befasst sich schwerpunktmäßig mit Modernitätsdebatten, Gouvernmentalität, sozialen Bewegungen, der Dynamik von Wissenssystemen und Artikulation und Praxis von Entwicklungskritik. Das Dissertationsprojekt wurde von 2008-2011 vom Exzellenzcluster 'Asia and Europe in a Global Context' der Universität Heidelberg gefördert.